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Bethlehem in Passignano – eine Weihnachtsgeschichte aus Umbrien

Von rogaia

Harfenklänge schweben über den Dächern, dringen durch die engen verwinkelten Gässchen und vermischen sich mit dem Stimmengewirr des Menschenstroms, der sich langsam durch die Altstadt windet. Fackeln an Ringen in den Hauswänden verbergen mehr als sie erleuchten. Ihr Rauch vereint sich mit dem der Kohlebecken vor dem Palast des römischen Stadthalters und legt sich über die ganze Stadt. In ebenerdigen, kaum beleuchteten Werkstätten zu beiden Seiten der Gasse gehen Handwerker und Händler ihrer Arbeit nach und stören sich nicht im geringsten daran, daß ihnen alle dabei zuschauen. Im Gegenteil, Worte fliegen hin und her. Gelächter über einen derben Scherz oder eine schnippische Bemerkung. Die Menschen hier kennen sich.
Schaulustige in eleganten Mänteln und dick wattierten Jacken bilden einen merkwürdigen Kontrast zum Calzolaio, dem Sandalenmacher und Flickschuster, dem Kesselflicker, dem Siebmacher, den Korbflechtern und den Töpfern in ihren bunten, grobgesponnenen Umhängen und Kopftüchern oder Turbanen, mit breiten Gürteln, aus denen nicht selten ein reich verzierter Dolch ragt.
Plötzlich stockt der Strom, teilt sich. Eine römische Patrouille bahnt sich ihren Weg durch die Menge. Die Legionäre in roßhaargeschmückten Helmen und glänzenden Lederharnischen, mit grimmigen Gesichtern und furchteinflößend langen Speeren. Da steht man besser nicht im Weg.
Etwas weiter, auf einer Terrasse mit weitem Blick über den See, haben Fischer ihre Netze zum Trocknen ausgespannt und bieten in flachen Körben ihren Fang zum Kauf an.
In der Gasse daneben breiten Bauern ihre Waren auf Decken aus. Große und kleine Kürbisse, Äpfel, Nüsse, Bohnen Linsen und vieles mehr. Ein Stück bergauf wird Getreide gedroschen und ausgesiebt.
Aus dem Palast des Herodes sind Flöten- und Tambourinklänge zu hören. Wer es schafft, an den Wachen vorbei einen kurzen Blick ins Innere zu erhaschen, sieht leicht bekleidete Schleiertänzerinnen sich zum Spiel der Musikanten wiegen. Mehr in seinem Thron liegend als sitzend, läßt der König seine Blicke leicht gelangweilt über die Szene schweifen.
Hinter der nächsten Ecke klingen Hammerschläge. Marmorsplitter spritzen nach allen Seiten. Ein Bildhauer, der blaue Burnus weißgepudert vom Steinstaub, mit tief ins Gesicht gerutschtem Turban, arbeitet an einem Relief, wahrscheinlich für die Villa eines wohlhabenden Römers.
Ein Dieb, an ein Joch gefesselt, laut um Erbarmen flehend, wird von zwei Legionären in den Kerker eskortiert.
Ganz oben auf dem Burgberg, nicht weit von einer Kaschemme, in der ein paar zwielichtige Gestalten eifrig am Würfelspielen sind, stoßen wir auf einen Stall, eigentlich eher die Ruine eines Stalls. In einem Pferch am Eingang tummeln sich Schafe und Ziegen, die sofort zutraulich näherkommen. Daneben bereiten verschleierte Bäuerinnen in Weidenkörben Käse zu. Im Inneren des Stalls versucht ein vorwitziger Esel, die Kleider der Besucher anzuknabbern, während ein Ochse, oder ist es eine Kuh, mit sanften dunklen Augen eher unbeteiligt dem Treiben zusieht. An einem kleinen Feuer, wärmt sich ein junges Paar. Die heilige Familie? Die Frau gibt einem Säugling die Brust und wir sind nicht schlecht erstaunt, als wir in der Maria Signora Luculli aus Castel Rigone erkennen, deren Bauch in den letzten Monaten zunehmend gewachsen war. Auch der Josef ist kein Unbekannter. Unter einem braunen Kopftuch blicken uns die Augen von Signor Luculli entgegen, der in der Nähe unseres Hauses La Rogaia einen Stall und Viehweiden hat. Ein erkennendes Nicken, der Anflug eines fast ein wenig verlegenen Lächelns. Wir tauschen ein paar schnelle Worte. Allzu lange wollen wir die Stille dieses heiligen Ortes nicht mit profanem Geschwätz stören. Und von hinten drängen ja auch schon die Nächsten, die der heiligen Familie ihre Reverenz erweisen wollen.
Auch auf dem Weg nach unten gibt es noch Etliches zu sehen. Ein Töpfer formt auf der Drehscheibe eine Vase, Seiler arbeiten zu dritt an einem dicken Tau, ein alter Herr mit Fes näht Taschen aus Schilfrohrzöpfen. Schräg gegenüber kämmt ein Halbwüchsiger beim Schein einer Öllampe Flachs, aus dem sein Vater Garn spinnt. Aus einer Hofeinfahrt hört man das Hämmern und Sägen von Zimmerleuten. In der kaiserlichen Münzpräge tauschen wir bei einem vierschrötigen Prägemeister in Lederwams und Stulpensandalen unsere Silberlinge gegen Sesterzen mit dem Konterfei des Cäsaren. Noch einige über dem Feuer geröstete Bruschette mit Olivenöl und ein Maiskolben, den sich unsere Tochter Amira bei einer Gruppe von Bäuerinnen erbettelt. Angesichts ihrer blonden Haare sind die Frauen ganz aus dem Häuschen: “Ma che bella che sei!”, - “Che bionda!, - “Che bambola!”. Dann lassen wir die Altstadt hinter uns.

Auf dem Weg nach Hause kommen wir - natürlich ganz zufällig - an unserer Lieblingsbar vorbei. Da müssen wir doch kurz “Auguri” und “Buone Feste” wünschen. Wir wollen ja nicht unhöflich sein ... Und außerdem gibt es hier um diese Jahreszeit dicke, heiße Schokolade, eigentlich eher flüssiger Pudding, mit Zimt, Zucker und Mandeln für die Kleinen, mit einem zusätzlichen Schuß Amaretto für die Junggebliebenen.

Ein knappes Jahr später. Vor meiner Werkstatt hält ein Fiat. Wer kann das sein? Ich erwarte niemanden. Die Polizia Municipale, die Ortspolizei. Was die wohl hier wollen? Ich überlege kurz, bin mir aber keiner Schuld bewußt. Ein kleiner, drahtiger, trotz seiner weißen Haare noch jugendlich wirkender Polizist steigt aus und stellt sich als Signor Gatti vor. Sein Blick schweift neugierig und zunehmend anerkennend über die Skulpturen vor der Werkstatt. Ich sei doch “scultore”, Bildhauer, ob er sich wohl meine Arbeiten einmal anschauen könnte? Was denn, will die Polizei bei mir etwas kaufen ? Leider nicht, wie sich gleich herausstellt. Signor Gatti ist der Hauptorganisator der “Presepe Vivente”, der lebenden Krippe. Ob es wohl möglich sei, für die Bildhauerwerkstatt dort ein paar meiner Werke als Dekoration auszuleihen. “Come no?”, warum nicht, antworte ich, worauf Signor Gatti überraschenderweise einen besorgten Gesichtsausdruck aufsetzt. Er druckst ein wenig herum, dann läßt er die Katze aus dem Sack. Es wäre doch möglicherweise etwas riskant, wenn die Skulpturen da ohne mich in der Werkstatt stünden. Nicht, daß er nicht gut aufpassen würde, keine Frage. Aber es kämen so viele Leute und da könnte schon etwas passieren. Am liebsten wäre es ihm, wenn ich gleich die Rolle des Bildhauers mit übernehmen könnte. Jetzt bin ich baff! Und der Kollege, der das bereits macht ?.... Der sei nur “finto”, meint Signor Gatti, der tut nur so als ob. Ein echter “scultore”, das wäre doch etwas ganz anderes. Außerdem habe sich der andere schon so oft mit dem Hammer auf die Finger gehauen, daß er jetzt doch gerne mal eine andere Rolle übernehmen würde.

Was sagt man dazu? Ein Angebot das man schwer ausschlagen kann. Ich muß in ein paar Tagen nach Deutschland, eine Ausstellung aufbauen. Aber wenn alles gut geht, sind wir Weihnachten wieder hier. Also gut. Va bene!
Dann fangen wir an, die Skulpturen auszusuchen...

von Wolfgang Sandt

Geschrieben 13.01.2010, Geändert 15.01.2010, 1338 x gelesen.

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