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Zu Besuch im Seilbahn-Land

Von prestofatto

Geht man durch die Olivenhaine um die Stadt Camaiore in der nördlichen Toskana, findet man an vielen Stellen gespannte Drahtseile. Dies sind private Kleinseilbahnen zum Materialtransport.

Die Häufung der Lastenseilbahnen hat seine Gründe: Denn je steiler und unwegsamer ein Gelände wird, desto mehr macht eine Lastenseilbahn Sinn. Und steile Berge gibt es dort im nördlichen Zipfel der Toskana viele, denn hier beginnen die apuanischen Alpen. Rund um Camaiore sind die meisten Abhänge seit hunderten von Jahren mit Trockenmauern terrassiert und mit Olivenhainen bedeckt. Hin und wieder gucken die Dächer von einzelnen Häusern aus den Oliven hervor. Noch bis ins 20. Jahrhundert wurden sie als sehr schlichte Wohnstätten genutzt: Im Kellergeschoss ein Stall für eine Kuh oder Ziegen, darüber ein Wohnraum mit einem offenen Kamin. Manchmal gibt es noch ein weiteres Stockwerk. Früher wurden alle Lasten zu diesen Häusern getragen: Wer konnte, leistete sich dafür einen Esel. Doch meistens wurde auf Menschenkraft gesetzt. „Männer trugen 80 kg, Frauen 40 kg“, erzählen noch alte Leute, die in den Bergdörfern rund um die kleine Landstadt Camaiore wohnen.

Der Marmorabbau liefert das Drahtseil

Dass man, so belastet, auf Abhilfe sinnt, ist wohl mehr als verständlich. Die Bewohner der apuanischen Alpen sind da keine Ausnahme, aber etwas ist hier schon besonders: das wichtigste Bauelement für eine Seilbahn gab es nämlich häufig umsonst. Nur wenige Kilometer entfernt wird nämlich in Massa und Carrara Marmor abgebaut. Die tonnenschweren Blöcke wurden mit umlaufenden Drahtseilen aus dem Berg herausgeschnitten. Wenn ein solches Schneideseil für seinen eigentlichen Zweck verbraucht war, konnte es immer noch hervorragend als Tragseil einer kleinen Seilbahn eingesetzt werden.

So findet man noch überall in den Olivenhainen die rund fünf Millimeter starken Drahtseile, die zu Seilbahnen umfunktioniert sind. Großer Aufwand wird damit meistens nicht getrieben: Als Befestigungspunkt müssen meistens Bäume herhalten. Um Lasten bergab zu transportieren, reichte es, sie mit einem Metallhaken ans Seil zu hängen – schon ging die rasende Fahrt los. Besser sind natürlich solche Seilbahnen, die auch ein Zugseil haben und deshalb einen Seilbahnwagen in zwei Richtungen fahren lassen können Natürlich braucht man aber auch einen Motor, der zieht. Früher wurde das wiederum oft mit Muskelkraft erledigt. Wenn möglich, werden dafür heute Elektromotoren eingesetzt. Ein kreativer Seilbahnbauer kam aber auch auf die Idee, das Zugseil auf der Felge einer fest im Boden verankerten ausgedienten Vespa aufwickeln zu lassen. Ganz luxuriöse Seilbahnen haben sogar zwei Tragseile und ein umlaufendes Zugseil. Damit zieht man einen Seilbahnwagen nach oben, während man den ersten berab fahren lässt. Mit ein paar angehängten Wasserkanistern ist der nötige Ballast vorhanden, um eine solche Seilbahn ohne großen Maschinenaufwand in Schwung zu bringen.

Ballonantrieb für Personenseilbahn

Seilbahnen haben in der Gegend Tradition. Schon vor mehr als 100 Jahren gab es hier eine spektakuläre Personenseilbahn. Ihr Antrieb war ein großer Wasserstoffballon! Sie brachte bis zu sechs betuchte Touristen, die sich in den Badeorten der nahegelegenen Versilia-Küste erholten, auf den Alto Matanna, wo ein hotelartiges „Refugio“ in 1100 Metern Höhe auf sie wartete. Nach einem Spaziergang und der Einnahme einer Mahlzeit ging es mit der Ballonseilbahn zurück zur Talstation. Unter anderem soll der König von Belgien diese abenteuerliche Reise unternommen haben.

Doch das technische Unikum gab es nur einen Sommer lang. Im Spätherbst 1910 schlug ein Blitz in den Hangar ein. Der Wasserstoffballon explodierte und zerstörte die gesamte Anlage. Noch heute findet man in der Nähe der Ortschaft Casoli die mächtigen Fundamente des Hangars, mit der Grube, die das Spanngewicht des rund 800 Meter langen Tragseils aufgenommen hat.

Seilbahnen dieser Größenordnung findet man nun nicht mehr in der Gegend. Die kleinen Lastenseilbahnen, die manchmal auch nur temporär aufgebaut werden, befinden sich alle auf privaten Grundstücken und sind, sozusagen, Liebhaberei. Aber eine mit einem ernsten Hintergrund: Sie erleichtern die Bewirtschaftung der Ölhaine und bringen Materialien jeder Art zu den Häusern.

Geschrieben 13.07.2013, Geändert 13.07.2013, 3493 x gelesen.

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