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Navigli

Von Samuel

Wenn es der dichte Verkehr erlaubt, ist man vom Dom in fünf Minuten am Hafen. Auch wenn es in Milano ja keinen Fluss gibt, steht hier tatsächlich ein großes Hafenbecken. Der ahnungslose Fremde hingegen fährt über eine alte Brücke, die er kaum bemerken wird, aus der Stadt raus.

Ein lombardisches Venedig ist Milano zwar nicht, aber auf alten Stadtansichten könnte man die lombardische Metropole fast mit der Lagunenstadt an der Adria verwechseln. Die Bezeichnung "Klein-Amsterdam" passt aufgrund des riesigen Nachtlebens entlang der Kanäle schon eher zu Mailand.

Anfangs erstreckten sich weite Sumpfgebiete über die heutige Poebene, in der sich mehrere Handelsstraßen kreuzten. Allein Letzteres hatte die Kelten dazu bewogen, in dieser endlosen Ebene eine Siedlung zu gründen – eine Gegend ohne Fluss, ohne Meer und ohne Berge. Doch trotzdem blühte der Handel in der Siedlung immer mehr und man begann die Poebene trockenzulegen und legte ein weit verzweigtes Kanalnetz an. Im 12. Jh. begann man dann ein ausgetüfteltes System dieser Wasserstraßen an die Flüsse Adda, Ticino und Po sowie an die oberitalienischen Seen zu bauen. Der wirtschaftliche Nutzen ließ nicht lange auf sich warten und bald einmal legten riesige Frachtschiffe im Mailänder Hafen an – so kamen beispielsweise die unzähligen Tonnen Marmor für den Bau des Doms vom Lago Maggiore direkt über die "navigli" nach Milano, denn gleich neben der Baustelle befand sich eine bedeutende Mole. Das Handelfieber packte anschließend auch Leonardo da Vinci, der ein Schleusensystem zur Aufbesserung des Kanals entdeckte, und bald konnten noch mehr Schiffe die Kanäle passieren.

Erst zu Beginn des 20. Jh. haben dann die Straßen und die Eisenbahn die Aufgabe der "navigli" übernommen. Die Kanäle indes verkamen immer mehr zu Kloaken und man schüttete die meisten in den 1920er Jahren kurzerhand zu, und als Benito Mussolini Prachtsstraßen brauchte, verschwanden auch die letzten "navigli" unter dem Ring neuer Straßen. Wie es einmal an den Kanälen gewesen sein muss, kann man sich heute kaum noch vorstellen. In den Wirtshäusern an den Kanälen wartete allerlei Publikum mit nicht nur vertrauenswürdigen Personen darunter. Geblieben sind von all dem nur noch einige Redewendungen, Sprichwörter, Erzählungen und die neuen Schilder auf dem "tangenziale" mit der Aufschrift "i navigli lombardi" (die lombardischen Grachten), die an frühere Zeiten erinnern.

Der Naviglio Grande und der Naviglio Pavese sind diesem Schicksal entkommen. Bis zu Beginn der 1970er Jahren arbeiteten im Viertel nur Handwerker. Wie eine Art Reißverschluss fungierten damals das Zentrum und die südliche Peripherie, eine sumpfige Gegend, die lange von Bauspekulationen verschont geblieben war. So konnte dieses Viertel auch lange seinen fast dörflichen Charakter bewahren, den man heute nur noch in den Hinterhöfen erleben kann. Erst in den 1980er Jahren wurde mit der Renovierung der sogennanten case a ringhiera – typische Mailänder Häuser mit großem Innenhof und einer Außentreppe, die zu den verschiedenen Wohnungen führt – begonnen. Häufig hat man die Häuser in den Originalfarben gelb und orange angestrichen und bekannte Archtitekten bauten hier luxuriöse Lofts, was dazu führte, dass die zahlreichen Hippies und Feministinnen, die hier lebten, ausziehen mussten.

Das Navigli-Viertel ist das Quartier Latin der Stadt Milano und hat in der sonst so hektischen Großstadt einen ruhigen Charakter bewahrt: Aus den Wohnungen klappert Geschirr und man hört Kindergezänk, in den Hinterhöfen trocknet die Wäsche. Die Leute sprechen auch noch den traditionellen lombardischen Dialekt, den man neben dem Hochitalienischen in der Stadt praktisch nicht mehr hört.

Nightlife an den Navigli

Die Birreria del Pallone liegt direkt am Naviglio Grande. Vor allem bei jungen Mailändern beliebt, die hier ein Bier (birra) trinken, bevor sie sich ins Nachtleben an den Navigli stürzen.
Viale Gorizia 30, Tel. 02 58 10 56 41. Mo geschl.

An den Kanälen vergnügen sich abends und vor allem nachts zahlreiche MailänderInnen, dabei auch einige Promis, wie Rockröhre Gianna Nannini, die im Trendlokal "L'Operetta" am nahen Corso di Porta Ticinese zum großen Star wurde. Ob ihr Songtext "Finiremo in quel caffè di Porta Ticinese" ("Wir werden in diesem Café an der Porta Ticinese enden") wohl auf diese Zeit zurückgeht?

Geschrieben 24.04.2003, Geändert 24.04.2003, 3118 x gelesen.

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