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Botanische Wanderung in Umbrien - Von Knabenkräutern und Zistrosen

Von rogaia

Es ist unglaublich! Mein Blick gleitet über ein unübersehbares Gewirr tief eingeschnittener Schluchten. Deren steil abfallende Wände sind übersät mit übereinander gestaffelten Terrassen, Balkonen und Höhlungen. Überall die surrealsten Farbschattierungen: Schwefelgelb, Blaugrün, Leuchtorange, Knallrosa. Alles schwingt in einem gleichmäßigen aber nie gleichförmigem Rhythmus. Je länger ich schaue, desto mehr glaube ich über eine gigantische, hoch aufragende, außerirdische Stadt hinwegzublicken; wie eine Szene aus einem Sciencefiction Film. Noch nie habe ich etwas Vergleichbares gesehen. Allem Anschein nach befinde ich mich in einer anderen Welt.

"Papa, ich will auch mal!" Die Stimme unserer kleinen Tochter Aurora, schreckt mich aus meinen Tagträumen. Ich richte mich wieder auf und betrachte nun aus einer Armlänge Entfernung die eher unscheinbare, knapp handtellergroße Flechte, die sich mit vielen Anderen den Platz auf dem Sandsteinfelsen vor uns teilt. Aurora platzt schon vor Neugier, und so erkläre ich ihr, wie sie durch Opas Fadenzähler, eine extrem vergrößernde Lupe aus der Textilindustrie, schauen muss. Plötzlich steht Verblüffung auf ihrem Gesicht, und für einige Momente ist sie ganz still.

Mein Schwiegervater ist derweil schon mit meiner Frau und unserer älteren Tochter um die nächste Wegbiegung verschwunden. Als wir sie einholen, stehen sie über eine Orchidee gebückt, an deren Blüten Bienen Nektar saugen. Aber Moment mal, das sind keine Bienen. Was wir sehen sind die Blüten selbst. Ein wissendes Lächeln erscheint auf dem Gesicht meines Schwiegervaters, der nun die Pflanze als Hummerschwänze identifiziert und uns darüber aufklärt, dass sie mit dieser pfiffigen Täuschung Hummeln zur Bestäubung anlockt. Kurz darauf öffnet sich der Wald, und wir trauen kaum unseren Augen. Die im hellen Sonnenschein vor uns liegende Wiese ist übersät mit purpurfarbenen rosa Orchideen. Für mich sehen sie alle ziemlich gleich aus. Aber jetzt legt Schwiegervater richtig los. Ein halbes Dutzend Arten erkennt er auf den ersten Blick. Verschiedene Knabenkräuter, Pyramidenorchis, Brandorchis. Kenntnisreich erklärt er uns die Unterschiede zwischen den Pflanzen. Nicht, dass ich mir das beim ersten Mal alles merken könnte, aber beeindruckend ist es trotzdem.

Für unsere Töchter sind es einfach Elfenblumen. Sie schicken sich an, in Felsspalten und knorrigen Baumwurzeln nach Feenwohnungen und Zwergenhöhlen zu suchen, was ihr Großvater unverzüglich zum Anlass nimmt, sie auf die Schönheit der dort wachsenden Moose aufmerksam zu machen.

So geht das den ganzen Weg, bis wir die Burgruine auf der anderen Talseite erreicht haben. Überall gibt es Neues zu entdecken, und fast immer weiß unser familieneigener Pflanzenexperte etwas Interessantes dazu zu erzählen. Schon seit vielen Jahren macht er botanische Führungen und sein Fachwissen ist so enorm, wie seine Begeisterung ansteckend ist. In den letzten Tagen haben wir mit ihm die ganze Umgebung unseres Hauses erkundet, und überraschend viel dazugelernt, obwohl wir dachten, uns mit der heimischen Flora schon recht gut auszukennen.

Jetzt im Mai quillt die Macchia über vor Blüten und Gerüchen und alles ist eingehüllt in den honigsüßen Duft des Ginsters, der ganze Hügelketten prachtvoll gelb färbt. Dazwischen rosa und weiße Zistrosen. Für meinen Schwiegervater steht fest, dass er nächstes Jahr zur gleichen Zeit hier eine seiner botanischen Führungen machen wird. Gleich fängt er zu planen an: Neben den Exkursionen sollen mediterrane Heil- und Gewürzpflanzen ein Schwerpunkt sein. Und meine Frau möchte die naturkundlichen Wanderungen noch durch eine Einführung in die italienische Gartenkultur ergänzen, natürlich mit dem Besuch bedeutender Gärten in unserer Umgebung. Sofort fällt uns ein besonders gelungenes Beispiel ein, die Villa Chigi Cetinale bei Siena, eine der vielen toskanischen Sommerresidenzen, die für ihre Gartenanlagen berühmt ist.

Viele dieser Paläste und Gärten wurden in den letzten Jahren, nicht zuletzt von englischen Gartenliebhabern, wieder restauriert, nachdem sie lange Zeit vernachlässigt worden waren. In der Villa Chigi verbinden sich gelungen die Formensprache des italienischen Renaissancegartens und die lasziv wuchernde Blütenpracht eines englischen Landschaftsgartens. Vor meinen Augen steigen die Bilder eines unserer Besuche dort auf:

Eine verschlungene Straße führt über Dörfer und Felder zur Villa. Als wir ankommen, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Wir haben Glück und finden einen schattigen Parkplatz in einer Allee mit uralten, dunklen Steineichen. Über rund geschliffenes Kopfsteinpflaster gelangen wir zu einem großen, schmiedeeisernem Tor, hinter dem ein ausgedehnter, klassisch italienischer Formgarten mit buchsbaumgesäumten Blumenbeeten, Oleanderbüschen und Zitronenbäumen in gigantischen Tontöpfen zu sehen ist. Dazwischen verstecken sich Putten und Faune aus Marmor.

Das Tor ist verschlossen, aber auf unser Klingeln kommt aus dem auf der anderen Seite des Gartens aufragenden Palazzo eine Dame mit einem gewaltigen Schlüsselbund und öffnet uns, nachdem geklärt ist, dass wir unseren Besuch vorher per Telefon angemeldet haben. Wir folgen ihr in die Loggia im Erdgeschoss der Villa, wo wir für die Erwachsenen Eintrittskarten lösen. Inzwischen haben unsere Mädchen bereits Freundschaft mit einer Dogge geschlossen, die sie zwar um eine halbe Kopflänge überragt, aber offensichtlich sehr freundlich ist. Hinter der Villa beginnt eine lange Allee, von Mauern eingefasst und mit hohen Zypressen und Statuen gesäumt. Sie lenkt unseren Blick auf ein in den Hang gebautes „Teatro“ und eine Einsiedelei hoch oben auf dem Berg.

Zunächst aber gilt unsere Aufmerksamkeit dem süßlich, fast schwül duftendem Jasmin, der an Spalieren hochgezogen, einen großen Teil der Mauern bedeckt. An der Südseite des Palazzo gruppiert sich um ein großes, rechteckiges Wasserbecken der Blumengarten im englischen Stil. Auch die mit Laubengängen beschatteten Wege sind konsequent rechteckig angelegt. Aber innerhalb dieses strengen Rahmens wuchert und blüht es, dass wir nur mit offenem Mund und großen Augen, staunend und auch etwas neidisch dastehen. Ein wahrer Zaubergarten! Rosen, über unseren Köpfen und zu unseren Füßen, in allen erdenklichen Farben und Formen, wetteifern mit einer Vielzahl verschiedener Iris-Sorten. Dazwischen großblumige Päonien, Myrthen, Solanum und natürlich überall Lavendel und Rosmarin. Von den Laubengängen grüßen Trompetenblumen, Bignonien, Bougainvillea und Geißblatt Bei den beindicken Glyzinienstämmen, die sich um den Sockel der Villa ranken, und bereits die Eingänge zu den Wirtschafts- und Geräteräumen zuwuchern, denke ich unwillkürlich an Bilder von im Dschungel versunkenen Tempelstädten und frage mich, ob sie das Gebäude nun stützen oder erdrücken.

Die anderen wollen weiter. Parallel zur Allee, unterhalb der Mauer finden wir Gärten mit in Form geschnittenen Bäumen und Hecken. Geometrische Muster wechseln sich ab mit Spiralen und Tiermotiven. Alles ist sehr weit und großzügig - ganz offensichtlich ist hier vieles ganz neu wieder hergestellt worden, die noch vorhandenen alten Motive aufgreifend.

Mittlerweile ist es Mittag und wir suchen Schutz vor der Sonne im „boschetto“, einem ausgedehnten von einer Mauer umgebenen Steineichenwald, der sich an den Garten der Villa anschließt. In der traditionellen italienischen Gartenkunst stellt er das „wilde, ungebändigte“ Gegenstück zur vom Menschen gezähmten Natur des Formgartens dar. Entlang der Wege befinden sich Votivkapellen und überlebensgroße Skulpturen bedeutender Kirchenmänner.

Was uns aber wirklich fasziniert sind die in Stein gehauenen, nicht ganz leicht zu findenden Tiersymbole einiger Sieneser Stadtviertel („Contrade“). In den Jahren 1679 bis 1692 fand nämlich hier im Boschetto der Villa Chigi der Palio das berühmt-berüchtigte Sieneser Pferderennen statt. Fünf Tiere aus Stein sollen entlang des Hauptweges zu sehen sein und nachdem wir eines davon, eine kniehohe Schnecke, im Gebüsch gefunden haben, sind wir nicht mehr zu halten. Ein fröhlicher Wettstreit bricht los, wer wohl zuerst das nächste Wappentier findet. Der geflügelte Drache ist nicht zu übersehen und auch der Delphin ist schnell gefunden. Schwieriger ist es da schon mit der Schildkröte und fast unauffindbar ist die steinerne Viper, die sich dicht an die Erde gepresst vor neugierigen Blicken verbirgt. Diese, schon ziemlich verwitterten, nicht sehr großen und gar nicht perfekten Figuren sind es, die dem Wald seine märchenhafte Aura verleihen.

An einem Goldfischteich, mitten im Wald verweilen wir zu einem ausgedehnten Picknick. Hier ist die Natur ruhiger, nicht so überschäumend wie direkt an der Villa. Wenn man aber genau hinschaut, gibt es auch hier einiges zu sehen. Wilde Gladiolen, Stechpalmen, rosa und weiße Lichtnelken, Taglilien, die kerzenförmigen Blütenstände des Affodil, Akanthus-Stauden, ein Stück entfernt ein Bambushain.

Auf dem Weg zurück zum Auto sind wir ein bisschen erschöpft, aber auch beflügelt. So viele Eindrücke! In meinem Kopf entstehen schon die Pläne für eine Rosenlaube in unserem Garten ...

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Agriturismo Villa La Rogaia

Geschrieben 05.02.2006, Geändert 05.02.2006, 982 x gelesen.

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